Theodor Heuss und Hermann Hesse auf einem Foto meines Vaters

Theodor Heuss und Hermann Hesse 1957

Auf einmal hielt ich ein Foto meines Vaters Erhard Störmer in der Hand, welches Hermann Hesse zusammen mit Theodor Heuss im Schweizer Engadin zeigt. Dass er damit zufällig die lebenslange Freundschaft der beiden berühmten Persönlichkeiten dokumentierte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. Aber der Reihe nach…

Fotograf aus Leidenschaft

Mein Vater zeigte mir einmal ein kleines Schwarz-weiß-Foto, auf dem Theodor Heuss zu sehen ist. Ich hatte damals natürlich nicht verstanden, wer das war und wo das Foto aufgenommen wurde. Mir blieb jedoch in Erinnerung, dass dieser Theodor Heuss ein prominenter Mann war. Nachdem mein Vater nun in diesem Jahr gestorben ist, fiel mir beim Durchforsten seines großen Fotoarchivs dieses Foto im Format 6 x 6 wieder in die Hände. Auf den ersten Blick konnte ich Theodor Heuss auf dem Foto identifizieren.

Wer ist der Mann neben Theodor Heuss?

Das kleine Foto warf natürlich sofort Fragen auf. Wer sind die anderen Personen auf dem Bild? Wann wurde das Foto aufgenommen? Wo ist das Bild entstanden? Und wie kam mein Vater an diesen Ort? Auf fast alle Fragen habe ich nach intensiver Recherche eine Antwort bekommen.

Zunächst schaute ich im Internet nach Fotos von Theodor Heuss, die in etwa aus dieser Zeit stammen. Schnell wurde ich fündig. Was mir bei diesen Bildern sofort auffiel war ein Mann, der oft zusammen mit Theodor Heuss abgelichtet wurde. Auch auf dem Foto meines Vaters war dieser Mann zu sehen. Dieselbe Größe, derselbe Kleidungsstil und – das war das Entscheidende – die exakt selbe Krawatte. Als ich die Bildunterschrift im Internet gelesen hatte, dachte ich, ich träume. Der schlanke Unbekannte auf Vaters Foto war der Schriftsteller Hermann Hesse. (Der Mann im linken Hintergrund ist Ernst Ludwig Heuss, Theodor Heuss Sohn.)

Nachdem ich das herausgefunden hatte, wollte ich natürlich wissen, was Hermann Hesse dazu veranlasst hat, einen Spaziergang mit Theodor Heuss zu unternehmen. Um das zu verstehen muss man in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurückblicken.

Eine lebenslange Freundschaft zwischen Theodor Heuss und Hermann Hesse

Bereits ab 1905 rezensierte der junge Journalist Theodor Heuss Bücher und Werke des aufstrebenden Schriftstellers Hermann Hesse. Aus dieser sachlichen Auseinandersetzung mit Hesses Werk entstand 1908 eine erste private Korrespondenz zwischen Theodor Heuss und Hermann Hesse. In der Zeit von 1912 bis 1914 kam es dann zu drei kurzen persönlichen Treffen der beiden. Der Kontakt untereinander riss auch danach nie ab.

Hermann Hesse Museum in Montagnola/Schweiz (Foto: Jürgen Reitemeier 2021)

Es sollte dann jedoch 37 Jahre dauern, bevor Heuss und Hesse sich für einen halben Tag in Montagnalo, Hesses Wohnort in der Schweiz, erneut persönlich treffen. Beide stehen zu diesem Zeitpunkt auf dem Zenit ihres Lebens. So hatte Hermann Hesse 1946 den Nobelpreis für Literatur erhalten, Heuss wurde drei Jahre später der erste Bundespräsident der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Erst im Jahr 1957 gab es von Ende Juli bis Ende August ein mehrwöchiges Treffen der Familien Hesse und Heuss im Fextal bei Sils Maria im Schweizer Engadin im Rahmen eines gemeinsamen Urlaubs. Aus diesem intensivsten Zusammentreffen sind viele Fotografien und Gespräche überliefert.

Die Reise meines Vaters in die Schweiz

Jetzt kommt der Fotoapparat meines Vaters ins Spiel. Erhard Störmer lebte zu dieser Zeit seit einigen Jahren in Wuppertal, wo er damals bessere Arbeitsbedingungen als im Warburger Land vorfand. Privat war er dort im Kolping engagiert, wo er auch schnell freundschaftlichen Anschluss fand. So plante er im Sommer 1957 mit zwei seiner “Kolpingbrüder” eine Reise in die Schweiz. Es ging im August mit Zelt und Proviant in einem VW Käfer 1100 über die Alpen. Seine Rollfilmkamera, eine Agfa Isolette II, durfte natürlich auch nicht fehlen. So gibt es auch einige Fotos von dieser Reise, die diesen Campingurlaub dokumentieren.

Überquerung der Alpen mit einem VW Käfer 1100
Campingurlaub in der Schweiz
Mein Vater (links) mit zwei Kolpingbrüdern aus Wuppertal im Zelt

Zufälliges Treffen von Theodor Heuss und Hermann Hesse auf einem Spaziergang

Früher hatte mir mein Vater sogar erzählt, dass er einmal als junger Mann in der Schweiz Urlaub gemacht hatte. Nur leider sagte er mir nicht wo. Auf jeden Fall müssen die drei, möglicherweise als Zwischenstopp auf der Rückreise, auch im Engadin gewesen sein. Und bei einem Spaziergang in der Nähe von Sils Maria erkannte mein Vater auf einem Waldweg Theodor Heuss, den er dann auch gleich in gebührlichem Abstand fotografierte. Ich bin mir sicher, dass er Hermann Hesse neben ihm nicht erkannte, da mein Vater mir gegenüber diesen Namen nie erwähnt hatte.

Eine letzte persönliche Begegnung nach diesem Treffen von Theodor Heuss und Hermann Hesse fand 1961 für einen halben Tag in Sils Maria statt. Hermann Hesse stirbt 85-jährig am 9. August 1962 an einem Gehirnschlag. Ein Jahr später, am 12. Dezember 1963 stirbt auch Theodor Heuss nach längerer Krankheit im Alter von 79 Jahren.

Heute hat das Foto einen Ehrenplatz bei mir

Mein Vater hat dieser Fotografie später keinen besonderen Stellenwert beigemessen, da sie weder gerahmt, noch anderweitig in seinem Fotoarchiv heraus gestellt wurde. Das hat sich nach meiner Entdeckung jetzt natürlich geändert. Das Foto schmückt nun unser Wohnzimmer mit der Original Unterschrift meines Vaters aus dem Jahr 1957. Dieser hätte sich sicher gefreut, dass sein Foto 64 Jahre später sogar Einlass in das Familienarchiv der Familie Heuss gefunden hat. Ich selbst bin seit kurzem auch Besitzer einer Agfa Isolette II Rollfilmkamera. Die Originalkamera meines Vaters, mit der mein Bruder Stefan und ich in unserer Jugend auch einige Rollfilme belichtet hatten, ist leider nicht mehr auffindbar.

History-Ehrenplatz

Übrigens: Im Foto- und Film-Archiv meines Vaters warten noch weitere kleine Schätze, die gehoben werden wollen. Aber das sind dann sicher noch andere Fotogeschichten…


Buchtipp zum Thema:

Um die Freundschaft Hermann Hesses zu Theodor Heuss besser verstehen zu können, kaufte ich mir das Buch HERMANN HESSE UND THEODOR HEUSS – Eine freundschaftliche Beziehung in wechselhaften Jahren. Es handelt sich hier um ein Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Hermann Hesse in Montagnola im Jahr 2020. Das Buch thematisiert die Beziehung der beiden von den Anfängen im Jahr 1905, bis zu deren Lebensende anhand von beispielhaften Briefen aus der jeweiligen Zeit. Neben zahlreichen Fotos und Abbildungen sind auch eigene Zeichnungen des Kunstliebhabers Theodor Heuss zu finden.

Fazit: Unbedingt lesenswert

Schwabe Verlag / ISBN 978-3-7965-3971-8


Die Kamera

Das Foto wurde mit einer Agfa Isolette II gemacht. Aufgrund des per Balgen versenkbaren Objektivs war die Kamera extrem handlich. Ferner verfügt diese Kamera bereits über einen Selbstauslöser, mit dem mein Vater sehr häufig “Selfies” gemacht hat. Gefüttert wurde die Kamera mit einem 6×6 Rollfilm, mit dem 12 Aufnahmen pro Film möglich waren. Aufgrund der Negativgröße konnte man mit dieser Kamera bereits beeindruckende Fotografien anfertigen, sofern Schärfefokus und Belichtung korrekt eingestellt wurden. Auch eine ruhige Hand oder ein Stativ verhalfen enorm zu scharfen Fotos.

Foto: FRAU ALLERLEIS VINTAGE


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